Zeitungsbericht: Unterwegs mit der längst vergessenen “Friedhofsbahn” in Gotha

Nach und nach verschwinden aus den Straßen der Residenzstadt die Gleise ehemaliger Straßenbahnstrecken – ein Erinnerungsbericht.

Die Linie 3 an der ehemalige Endhaltestelle am Hotel “Mahr”. Foto: Kirchberger

Gotha. “Dass sich eine Stadt dieser Größe in Thüringen eine Straßenbahn leistet, das finden wir richtig gut” – so ein Stadtgast aus Hamburg neulich beim Überqueren der Gleise auf der Gartenstraße in Richtung Neumarkt. Ja, die Straßenbahn in der Kreisstadt hat mehr Freunde und Befürworter, als man denkt. In den letzten Jahren sorgten sie mit dafür, dass dass die Nahverkehrsfahrzeuge den Übergang in die Marktwirtschaft nicht nur überlebten, sondern dass sie auch wirtschaftlich arbeiten. Der öffentliche Personennahverkehr profitiert davon.

Kreuzungs- und Haltestelle Steinstraße 1978. Foto: Kirchberger

Doch nicht alle ehemaligen Linien haben die Jahrhundertwende geschafft. Unser Leser Otto Stöckigt aus Gotha beispielsweise erinnert sich gern an die Linie 3, die “Bahn der alten Leute”, wie sie im Volksmund auch hieß. Er befürchtet, dass die letzten Reste der Strecke, die einmal zum Hauptfriedhof führte, im Zuge des Kinobaus am Hersdorfplatz verschwinden werden. Wäre es nicht interessant, mal einen Rückblick auf die Linie 3 zu halten, fragte er.

Friedhof Gotha, alle aussteigen – ein Bild von der Endhaltestelle aus dem Jahr 1959. Foto: Thüringerwaldbahn und Straßenbahn

Die TLZ ging der Leseranregung gern nach. Sie traf sich mit Dieter Schedel, Geschäftsführer der Thüringerwaldbahn und Straßenbahn Gotha GmbH, und Verkehrsmeister Ralf Hartung vom Verein der Gothaer Straßenbahnfreunde. Die Freunde pflegen die Historie bereits seit 1996. Ralf Hartung hat die Linie 3, auch “Friedhofsbahn” genannt, sogar noch selbst gefahren.

Dieter Schedel erinnert sich daran, dass die Linie 3 in ihrer Blütezeit rappelvoll war, auch abends, vor allem aber im Berufs- und Schülerverkehr. “Hauptkampftag der Linie 3 war immer der Totensonntag”, so der Geschäftsführer. Da seien oftmals bis zu fünf Wagen im Einsatz gewesen. Warum wurde die Linie eingestellt, wenn sie so gut frequentiert war? Grund seien Materialfragen gewesen. Die Bahn sei nicht mehr belastbar gewesen.

Deswegen wurde die Strecke zunächst mit Schienenersatzverkehr bedient. Nach der Wende sind dann die Konzessionen neu verteilt worden – die Linie ist dem Busverkehr zugeschlagen worden.

Noch einmal die Haltestelle Hauptfriedhof der Straßenbahnlinie 3 in Gotha. Foto: Klees

Dieter Schedel erinnert sich daran, dass die Linie 3 ursprünglich sogar verlängert werden sollte – bis nach Remstädt. Dazu sei es aber nie gekommen.

Reste der Straßenbahnlinie 3 am Hersdorfplatz. Foto: Rita Specht

So mancher Fahrgast wird sich noch an die Tarife zu ­DDR-Zeiten erinnern: Eine Strecke, für die man heute 1,90 Euro bezahlt, kostete 15 Pfennige, für die Kinder sogar nur 10 Pfennige.

Im Jubiläumsjahr

In diesem Jahr feiert die Thüringerwaldbahn und Straßenbahn 120 Jahre Straßenbahn und 85 Jahre Waldbahn. Am 20. September sollen die Jubiläen mit einem “Tag der offenen Tür” im Depot in Gotha gefeiert werden.

Die Haltestelle Arnoldiplatz im Jahr 1965. Foto: Thüringerwaldbahn und Straßenbahn

Über die Chronik der Linie 3 weiß Ralf Hartung viel zu berichten: Im Jahr 1900 erteilte das Herzogliche Staatsministerium der “Electrizitäts-Actien-Gesellschaft” die Konzession für den Bau und den Betrieb eines elektrischen Sekundärbahnnetzes um Gotha. Neun Linien sollten fortan eingesetzt werden: die 1 als Ringbahn, die 2 nach Siebleben ins Krankenhaus, die 3 sollte zum Friedhof fahren, die 4 nach Waltershausen und Tabarz über Langenhain mit einem Abzweig von Wahlwinkel nach Friedrichroda, die 5 nach Uelleben, die 6 nach Tabarz, Schwarzhausen und Winterstein mit einem Abzweig von Schwarzhausen nach Schmerbach, die 7 nach Günthersleben und Wechmar, die 8 zum Friedhof und weiter nach Remstädt und Goldbach und die 9 über Friedhof und Ostbahnhof bis Friemar, Molschleben, Bienstädt und Töttelstädt.

Am 21. Juni 1911 ist die Straßenbahnlinie 3 vom Arnoldiplatz bis zum Friedhof auf einer Länge von 1,54 Kilometern eingleisig mit zwei Ausweichen eröffnet worden. Wegen der Luftangriffe auf Gotha wurde sie im Februar 1945 so wie die anderen auch vorübergehend eingestellt. Erst am 3. April 1950 fuhr die Bimmel wieder zum Friedhof.

Am 1. Oktober 1958 sind die Liniennummern bei der Straßenbahn Gotha eingeführt worden, fortan verstärkt durch die “Thüringerwaldbahn”. Es gab drei städtische Linien, darunter die 3 vom Arnoldiplatz zum Friedhof – nun 1,38 Kilometer lang – sowie als Linie 4 die Waldbahn nach Tabarz und Waltershausen. Am 1. Dezember 1963 wurde auf der Linie 3 der schaffnerlose Verkehr eingeführt. Die Männer mit den Knipskästchen verschwanden.

Zweites Gleis

1966 begannen Bauarbeiten zur Neugestaltung des Verkehrsknotens Arnoldiplatz/Huttenstraße. In der Gartenstraße wurde ein zweites Gleis verlegt, an der Wagenhalle eine Außenstellablage der Bahnen errichtet. Wegen der Arbeiten am zweiten Gleis in der Gartenstraße verkehrte die Linie 3 damals zwischen Januar und Dezember 1967 als Schienenersatzverkehr. Im November 1968 wurde die Endhaltestellenanlage Hersdorfstraße für die Linie 3 in Betrieb genommen.

Zehn Jahre später ist auf allen Strecken das neue bargeldlose Entwertersystem mittels elektrischer Entwerter eingeführt worden, 1984 folgten die Lochentwerter.

Am 1. Juli 1985 schließlich ist die Straßenbahnlinie 3 eingestellt worden. Wer zum Friedhof wollte, musste fortan auf den Bus umsteigen. Der fuhr vom Busbahnhof über die Mohrenstraße und die Langensalzaer Straße bis zum Hauptfriedhof.

Die Schienenersatzverkehrszeit endete am 31. Dezember 1991. Der Linienverkehr wurde ab 1992 durch die Stadtbuslinie D der Firma Steinbrück bedient.

Von den alten Gleisanlagen ist tatsächlich nicht mehr viel zu sehen. Aber es gibt sie noch am Hersdorfplatz, wenn man einmal genau hinschaut. Vermutlich werden sie bei einer der nächsten grundlegende Straßensanierungen verschwinden. Nicht verschwinden wird jedoch die Erinnerung an die Gothaer Linie 3.

(Thueringer Allgemeine) Rita Specht / 21.04.14 / TLZ